Es ist nicht schlimm …
Zeitung Biel-Bienne
10-11 September 2014
Woche 37
Für seine Wiederkehr wird Pierre Miserez, der Zarte des verrückten Humors, die Premiere seiner «Entschuldigung» im CCL von Sankt Immer vorstellen.
Der Mann, der ein Lachen auf die menschliche Zerbrechlichkeit legt. Der Unangepasste, der aus den Rissen unserer Sitten und Gebräuche, unserer Fehler, aus unseren Ängsten, unerfüllten Wünschen und Illusionen schöpfen wird. Was wir uns zu sein gewünscht hätten und doch niemals erreichen werden; das Leben, das wir uns nicht so vorstellten, dieser Wunsch, manchmal sein Bestmöglichstes zu geben – und es doch nicht schaffen. Also sagt man sich, wie Pierre Miserez: «Das ist nicht schlimm … aber schade …» Miserez, gleichzeitig «wahnsinniger» Clown und desillusionierter Fatalist.
Künstler. Als Sohn eines Uhrmachers hätte er nie daran gedacht, ein «Künstler, wie man so sagt» zu werden. Nach der Handelsschule sollte er zum Buchhalter oder Prokuristen ausgebildet werden. «Aus La Chaux-de-Fonds stammend, war das Künstlergewerbe für mich undenkbar; bevor ich 20 Jahre alt war, dachte ich sowieso nicht daran.»
Nicht wissend, «was mit meinem Leben anfangen», trifft ihn erstmals die Depression, ein wiederkehrendes Aas. Und es ist da, als ihm die Entdeckung «zweier grosser Künstler» aus der Klemme hilft: «Das Lachen hat mich gerettet. Innert eines Jahres habe ich Clown Dimitri und Komiker Bernard Haller gesehen … das war eine Offenbarung. Ich sagte mir: Das möchte ich machen! Der eine war Pantomime, der andere sprach viel. Ich bin mein Leben lang zwischen den beiden geschwungen. Es war meine Mutter – sie hatte nichts mit dem Showbusiness zu tun und machte sich Sorgen um mich -, die mir sagte: ‘Du weisst, dass es eine Theaterschule in Genf gibt.’ So ging ich für drei Jahre an die ‘Ecole supérieur d’art dramatique’.»
Desperado. Miserez, ein Humorist, der auf Abstand zu den Gesetzen und der Autori- tät geht, ein Desperado, noch «ganz Kind», allzeit bereit, das Lachen wie eine furchterregende Waffe zu zücken. «Ich liebe das Leben, doch ich habe zwei grosse Depressionen durchlebt, einen Abstieg in die Hölle vor fünf Jahren, Momente, in denen ich es mit dem Alkohol übertrieben habe, Blasenkrebs, jetzt vollständig geheilt. Obwohl ich zerbrechlich bin, habe ich gleichzeitig auch die Kraft eines Stiers, ich bin sehr kämpferisch.»
Entschuldigung. Die Premiere von «Excusez-moi», der Show, die seine Rückkehr markiert, findet im Centre de Culture & de Loisirs (CCL) in Sankt Immer statt, der Geburtsstadt seiner Mutter. Ist der Titel eine Art Entschuldi-gung gegenüber dem Publikum – für seine Abwesenheit? «Daran habe ich nicht gedacht … in der Schweiz entschuldigt man sich ständig, man entschuldigt sich sogar, wenn man Gutes tut. Es ist teilweise so, dass man sich dafür entschuldigt, am Leben zu sein.»
Der 63-Jährige liebt das Leben, doch je mehr er es liebt, desto mehr fürchtet er den Tod – deshalb erschafft und kreiert er, um dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen. Bis ins Alter von 40 Jahren übergab er sich vor seinen Auftritten regelmässig. Passiert es, dass der Bühnenmensch dem Privatmenschen Angst macht? «Manchmal …», zögert Miserez, «kann der Bühnenmensch auf die Leute de- stabilisierend wirken. Ich bin nicht innerhalb der Norm, ich bin ein Provokateur. Das Lachen ist die höchste Form der Verzweiflung.»
Von Thierry Luterbacher